Ob Altbanater, Berchtesgadener Vogel oder Wetterauer Fuchs – regionale Getreide-Landsorten vereinen Artenvielfalt mit Genuss und Tradition. Das macht sie zum einen für Bio-Landwirtinnen und Bio-Landwirte interessant. Denn vielfach sind diese alten Sorten besonders gut an bestimmte regionale Bedingungen angepasst. Zum anderen können Handwerksbäckereien mit Backwaren aus traditionellen Getreidesorten etwas Besonderes anbieten. Denn die daraus hergestellten Backwaren gelten als besser bekömmlich und gesünder als Produkte aus den modernen Weizensorten. Wissenschaftlich lässt sich das jedoch nicht nachweisen: Die alten Sorten enthalten weder weniger immunreaktive noch mehr gesundheitsfördernde Inhaltsstoffe als die modernen. Dafür überzeugen die meisten traditionellen Weizen- und Dinkelsorten mit guten Backeigenschaften und stehen den modernen Sorten hinsichtlich ihrer Inhaltsstoffe in nichts nach.
Dies hat ein interdisziplinäres Forscherteam im Projekt "ReBIOscover – Wiederentdeckung alter Getreide-Landsorten zur nachhaltigen Herstellung von Bio-Lebensmittelspezialitäten" herausgefunden. Das Projekt hat die Bekanntheit alter Landsorten unter Landwirtinnen und Landwirten, Mühlen und Bäckereien in Bayern erhöht und diese miteinander vernetzt. Die Forschenden untersuchten dreißig Sorten, davon die meisten aus der Zeit vor 1950 stammend. Ökologisch angebaut wurden die alten Weizen-, Dinkel-, Einkorn-, Emmer-, Gersten- und Roggen-Landsorten am Versuchsstandort der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) in Ruhstorf an der Rott in Bayern.
Gutes Backvolumen
Im Backlabor der LfL wurde die Backqualität analysiert. Das Ergebnis: Je nach Anbausaison und -standort schwankten die Werte der gängigen Parameter Rohprotein- und Feuchtklebergehalt, Wasseraufnahme sowie Sedimentationswert. Allerdings sagen diese Parameter kaum etwas über die tatsächliche Backqualität aus. Die Landsorten enthalten oft mehr Protein als die getesteten Vergleichssorten. Selbst im trockenen Sommer 2022 übertraf bei vielen alten Sorten der Proteingehalt die Werte der modernen Sorten. Aus den Qualitätsparametern (Fallzahl, Glutenindex, Sedimentationskoeffizient etc.) lässt sich bei den alten Sorten allerdings nicht immer direkt auf die Backqualität schließen. Hierfür erwies sich in den standardisierten Backversuchen der LfL das Volumen des Gebäcks als deutlich besser geeignet.
Backqualität schwankt weniger
Im Backlabor schnitten die alten Sorten fast durchweg gut ab. Aus den Backversuchen schließen die Forschenden, dass deren Backqualität generell weniger stark schwankt und etwas weniger stark von Umweltfaktoren beeinflusst wird als die moderner Zuchtsorten.
Dass sich traditionelle Sorten gut verbacken lassen, bestätigte sich auch in der Praxis. Selbst bei Sorten, die im Standardbackversuch eher schwierig zu verbacken waren, gelang es den handwerklich arbeitenden Praxispartnern, daraus hochwertige Brote oder Kleingebäck herzustellen. Zwar neigen manche Landsorten zu flüssigen oder klebrigen Teigen. Doch dieser Effekt lässt sich etwa durch eine lange Teigruhe oder durch die Zugabe von Sauerteig ausgleichen. Daher sind besonders traditionell arbeitende Bäckereien in der Lage, alte Getreidesorten zu hochwertigen Backwaren zu verarbeiten. Denn für eine maschinelle Verarbeitung eigenen sich die sortenreinen Mehle nicht.
Lange Teigruhe macht Weizenprodukte bekömmlicher
Aus alten Getreidesorten hergestellte Produkte gelten als gut bekömmlich. Dennoch haben die Forschenden am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) keine Landsorte mit besonders wenigen immunreaktiven Inhaltsstoffen identifiziert. So ergaben die im Projekt durchgeführten Mehlanalysen: Zwischen den modernen und traditionellen Sorten gibt es kaum Unterschiede bei den als immunreaktiv eingestuften Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATI). So schnitt in allen drei Versuchsjahren der ATI-Anteil der modernen Weichweizensorten (Mittelwert von 7 Prozent) nur geringfügig höher ab als bei den Landsorten (Mittelwert von 6,4 Prozent). Vieles spricht aus Sicht der Forschenden dafür, dass die lange Teigruhe dafür sorgt, dass so viele Menschen Produkte aus alten Getreidesorten besser vertragen. Um diese Annahme zu bestätigen, sind allerdings noch weitere Untersuchungen nötig.
Außerdem unterschieden sich die modernen und traditionellen Sorten kaum in der Proteinzusammensetzung, bei Vitamingehalten und anderen positiven Inhaltsstoffen.
Mit Werbemittel alte Sorten bekannt machen
Damit die Wiederbelebung der alten Sorten gelingt, müssen Verbraucherinnen und Verbraucher ihren Mehrwert für Mensch und Umwelt kennen. Nur so kann man sie für den Kauf der daraus hergestellten Backwaren gewinnen. Für Bäckereien haben die Projektpartner der Technischen Universität München diverse Kommunikationsmaterialien entwickelt: von Plakaten und Postkarten über Hinweisschilder bis hin zu einem Social Media-Post. Ob im Verkaufsraum, am Schaufenster, auf der Webseite oder in den sozialen Medien, die Bäckereien können die Werbemittel flexibel einsetzen und so ihre Kundinnen und Kunden niedrigschwellig ansprechen. Sämtliche Materialien lassen sich nach Bedarf vervielfältigen. Hierzu gibt es online kostenlos Druckvorlagen zum Nachdruck.
Fazit: Zwar können alte Getreide-Landsorten nicht mit einem gesundheitlichen Mehrwert punkten. Doch Bäckereien können sich mit besonderen Backwaren profilieren und gleichzeitig Gutes für die regionale Biodiversität tun. Damit sich dies auch wirtschaftlich rentiert, brauchen Landwirtinnen und Landwirte, Bäckereien und Mühlen einen Anreiz zum Anbau und zur Verarbeitung dieser Sorten. Hierfür muss es gelingen, Verbraucherinnen und Verbraucher zum Kauf von Produkten aus regionalen Getreidesorten zu motivieren.
Weitere Informationen zum Projekt
Das Projekt ReBIOscover wurde über das Bundesprogramm Ökologischer Landbau (BÖL) vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) finanziert und durch das Institut für Angewandte Biowissenschaften am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) koordiniert. Mit dabei waren Versuchsanstellerinnen und -ansteller der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL), Mitarbeitende des Kompetenzzentrums für Ernährung Freising (KErn) sowie Forschende der Technischen Universität München (TUM).